Beschluss vom 25.03.2024 -
BVerwG 8 BN 1.23ECLI:DE:BVerwG:2024:250324B8BN1.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.03.2024 - 8 BN 1.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:250324B8BN1.23.0]

Beschluss

BVerwG 8 BN 1.23

  • VGH München - 03.04.2023 - AZ: 11 N 22.940

In der Normenkontrollsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. März 2024
durch die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller und Dr. Meister
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. April 2023 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Antragsteller ist Rechtsanwalt mit Wohnsitz im Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Er ist zudem als angestellter Taxifahrer in München tätig. Im April 2022 hat er einen Normenkontrollantrag gegen die Regelung einer Verordnung der Antragsgegnerin erhoben, welche die Verpflichtung zur Annahme bargeldloser Zahlungen in den von der Antragsgegnerin zugelassenen Taxen festlegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag mangels Antragsbefugnis des Antragstellers abgelehnt. Als angestellter Fahrer eines in München ansässigen Taxiunternehmens sei er von der Regelung nicht betroffen. Allein sein Wohnsitz oder Lebensschwerpunkt im örtlichen Anwendungsbereich der Vorschrift erfülle nicht die Voraussetzungen der Antragsbefugnis. Weiterhin sei nicht ersichtlich, dass der Antragsteller in absehbarer Zeit von der angegriffenen Regelung betroffen sein könnte. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die allein auf Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde, die erfolglos bleibt.

2 1. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil der Verwaltungsgerichtshof die Antragsbefugnis des Antragstellers verfahrensfehlerhaft verneint hätte. Aus dessen Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass der Verwaltungsgerichtshof die Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO überspannt und damit die prozessuale Bedeutung dieser Vorschrift verkannt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2022 ‌- 3 BN 8.21 - juris Rn. 20 m. w. N.).

3 Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann jede natürliche oder juristische Person einen Normenkontrollantrag stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind keine höheren Anforderungen zu stellen als nach § 42 Abs. 2 VwGO. Deshalb genügt es, wenn ein Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den zur Prüfung gestellten Rechtssatz in einem eigenen subjektiven Recht verletzt wird. Die Antragsbefugnis fehlt nur, wenn unter Zugrundelegung des Antragsvorbringens Rechte des Antragstellers offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise verletzt sein können (stRspr, BVerwG, Urteil vom 29. November 2022 - 8 CN 1.22 - BVerwGE 177, 181 Rn. 20 m. w. N.).

4 Diesen Maßstab hat der Verwaltungsgerichtshof seiner Entscheidung zugrunde gelegt und verfahrensfehlerfrei angewendet. Er ist davon ausgegangen, dass der Antragsteller als nicht im Stadtgebiet der Antragsgegnerin tätiger Taxifahrer nicht in den Anwendungsbereich der von ihm angegriffenen Verordnungsregelung fällt.

5 Auch eine absehbare künftige Verletzung von Rechten des Antragstellers durch die beanstandete Regelung hat der Verwaltungsgerichtshof verfahrensfehlerfrei verneint.

6 Die rechtserhebliche Aussicht, dass eine Rechtsverletzung in absehbarer Zeit erfolgen wird, ist nur dann gegeben, wenn die Entwicklung vom Erlass der Norm zur Rechtsverletzung hinreichend wahrscheinlich ist. Sie muss daher bereits in Gang gesetzt oder konkret ins Auge gefasst worden sein oder zumindest objektiv naheliegen (Unruh, in: Fehling/​Kastner/​Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 47 VwGO Rn. 77; Ziekow, in: Sodan/​Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 180 m. w. N.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 3. November 1993 - 7 NB 3.93 - NVwZ-RR 1994, 172 <173>; Urteil vom 17. Dezember 1998 - 1 CN 1.98 - ‌BVerwGE 108, 182 <184>). Nur dann, wenn die Beschwer des Antragstellers noch nicht greifbar ist oder von Bedingungen abhängt, deren Eintritt prognostisch nicht eingeschätzt werden kann, ist der Antrag unzulässig (Panzer/​Schoch, in: Schoch/​Schneider, Verwaltungsrecht, Stand März 2023, § 47 VwGO Rn. 48 m. w. N.; vgl. auch Kopp/​Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 47 Rn. 60; Ziekow, in: Sodan/​Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 180; VGH Mannheim, Urteil vom 28. Juni 2016 - 1 S 1244/15 - NVwZ-RR 2016, 945 Rn. 19 m. w. N.).

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat bei Anwendung dieses Maßstabs keine überspannten Anforderungen an die Antragsbefugnis des Antragstellers gestellt. Der Umstand, dass sich der Antragsteller bislang nicht auf eine Stelle als angestellter Taxifahrer bei einem im Stadtgebiet der Antragsgegnerin ansässigen Taxiunternehmen beworben hat und kein konkreter Vertragsschluss bevorsteht, rechtfertigt den daraus vom Verwaltungsgerichtshof gezogenen Schluss einer nicht in absehbarer Zeit bevorstehenden Rechtsverletzung durch die angegriffene Vorschrift.

8 Gleichfalls verfahrensfehlerfrei hat der Verwaltungsgerichtshof die hinreichende Aussicht des Antragstellers auf eine Tätigkeit als selbständiger Taxiunternehmer im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin wegen fehlender Fachkundeprüfung oder gleichwertigen Nachweises verneint.

9 Die Rüge des Antragstellers, der Verwaltungsgerichtshof habe unzulässige eigene Ermittlungen zum Vorliegen der Antragsbefugnis vorgenommen, ist nicht berechtigt. Das Normenkontrollgericht ist zwar grundsätzlich nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Die Ermittlung und Auswertung des Prozessstoffs darf nicht in einem Umfang und einer Intensität erfolgen, die einer Begründetheitsprüfung gleichkommt (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschlüsse vom 12. Januar 2015 - 4 BN 19.14 - juris Rn. 13 und vom 14. Oktober 2021 - 4 BN 3.21 - ZfBR 2022, 70 Rn. 4). Die für den Verwaltungsgerichtshof erhebliche Frage, ob der Antragsteller in absehbarer Zeit in den Anwendungsbereich der angegriffenen Norm fallen kann, weil er die begründete Aussicht auf Erteilung einer Genehmigung zum Betrieb eines Taxiunternehmens hat, steht jedoch in keinem Zusammenhang mit der Prüfung der Begründetheit des Normenkontrollantrags und nimmt diese nicht vorweg.

10 Abgesehen davon war es Sache des Antragstellers, die für die Antragsbefugnis relevanten Tatsachen substantiiert vorzutragen. Das Normenkontrollgericht musste den Vortrag seiner Entscheidung nicht ungeprüft zugrunde legen, sondern war berechtigt - wenn nicht gar verpflichtet - ihn auf seine Schlüssigkeit und voraussichtliche Belastbarkeit zu überprüfen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 2015 - 4 BN 19.14 - juris Rn. 13). Hier bestand dazu in besonderer Weise Anlass. Der Antragsteller hat erst auf die gerichtliche Aufforderung, die Umstände, die für seine Antragsbefugnis sprechen könnten, näher zu konkretisieren, die Erteilung einer Genehmigung für den Betrieb eines Taxiunternehmens nach dem Personenbeförderungsgesetz beantragt. Daraus ergaben sich hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass seine Antragstellung taktisch motiviert war, um die Antragsbefugnis zu erlangen. Vor diesem Hintergrund musste sich dem Verwaltungsgerichtshof eine besonders sorgfältige Prüfung des Vortrags zur Antragsbefugnis auf seine Schlüssigkeit und Belastbarkeit aufdrängen.

11 2. Auch die übrigen vom Antragsteller gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor.

12 a) Der Verwaltungsgerichtshof hat die nach § 47 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 101 Abs. 1 VwGO grundsätzlich erforderliche mündliche Verhandlung durchgeführt. Dass dabei nicht die aus Sicht des Antragstellers relevanten Fragen zur Wirksamkeit der von ihm angegriffenen Regelung erörtert worden sein mögen, begründet keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Auf deren Rechtmäßigkeit und das Vorbringen des Antragstellers zu diesem Gesichtspunkt kam es mangels Entscheidungserheblichkeit aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Verwaltungsgerichtshofs nicht an.

13 b) Einen Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen kann, ergibt sich auch nicht aus der Ablehnung der vom Antragsteller gestellten Beweisanträge. Hierin liegt weder ein entscheidungserheblicher Verstoß gegen § 86 Abs. 2 VwGO noch ein Aufklärungsmangel oder eine Vorenthaltung der Gewährung rechtlichen Gehörs.

14 Den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag des Antragstellers, durch Inaugenscheinnahme einer Taxi-App festzustellen, dass die angegriffene Norm unnötig sei, hat der Verwaltungsgerichtshof unter anderem mangels Entscheidungserheblichkeit abgelehnt. Hiergegen ist nichts zu erinnern, denn nach seiner insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung kam es auf diese die Begründetheit des Normenkontrollantrags betreffende Frage nicht an.

15 Die weiteren Beweisanträge auf Inaugenscheinnahme der Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Kreditkartenunternehmens sowie einer vom Antragsteller näher bezeichneten Umweltstudie hat der Verwaltungsgerichtshof abgelehnt, weil sie auf die Beantwortung rechtlicher Fragen zielten. Insoweit kann das angegriffene Urteil nicht auf der Ablehnung der genannten Beweisanträge beruhen. Sie betreffen die Begründetheit des Normenkontrollantrags, mit der sich der Verwaltungsgerichtshof wegen der aus seiner Sicht fehlenden Zulässigkeit des Normenkontrollantrags nicht befassen musste.

16 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

17 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.